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Viktoria Ladyshenski erhält im Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz am Bande

 

Viktoria Ladyshenski erhält das Bundesverdienstkreuz vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier

 

04.12.2023, Berlin, Schloss Bellevue

Viktoria Ladyshenski erhält das Bundesverdienstkreuz am Bande vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier

04.12.2023 / Kieler Nachrichten online

 

Dennis Betzholz

 

In Deutschland werden wieder Davidsterne an Wohnhäuser gemalt, Juden bedroht und die Auslöschung des Staates Israel auf offener Straße skandiert. In diesen dunklen Tagen aber gibt es auch hier und da Lichtblicke, Zeichen der Hoffnung – und Viktoria Ladyshenski.
 

Ohne diese Frau wäre das jüdische Leben in Schleswig-Holstein heute ein anderes: Sie gründete die landesweit ersten jüdischen Gemeindezentren mit, unterstützte Aberhunderte Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion beim Ankommen in Kiel und vernetzte vor Ort Juden mit Christen und Muslimen. Für dieses Engagement erhält Ladyshenski am Montag, 4. Dezember, das Bundesverdienstkreuz am Bande. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht ihr im Schloss Bellevue in Berlin die besondere Auszeichnung. Und das im Beisein ihrer Zwillingsschwester, die eigens aus New York anreist.

 

Viktoria Ladyshenski lebte als Kind in der UdSSR – „staatlich geleiteter Antisemitismus“
 Als die Schwestern noch Kinder waren, lebte die Familie in Kiew, das damals noch Teil der Sowjetunion war. Wer verstehen will, was Viktoria Ladyshenski antreibt, dem erzählt sie folgende Geschichte aus Kindertagen: Immer freitags vor Sonnenuntergang habe ihre Großmutter die Shabbatkerzen angezündet. Als Tochter eines Rabbiners wollte sie die jüdische Tradition pflegen, wenn auch heimlich.
 

Denn in der UdSSR war das Ausüben des jüdischen Lebens verboten, „es herrschte ein staatlich geleiteter Antisemitismus“, sagt Ladyshenski. Eines Freitagabends rannten Viktoria und ihre Schwester um den Tisch und versuchten, im Spiel die Kerzen auszupusten. Die Großmutter scheuchte sie aus dem Zimmer, ohne zu erklären, warum. „Wir fragten uns: Warum waren die Kerzen wichtiger als ihre geliebten Enkelinnen?“, erzählt Viktoria. Mittlerweile kennt sie die Antwort.

 

 1992 war jüdisches Leben in Schleswig-Holstein noch nicht verbreitet
 50 Jahre sind seitdem vergangen, und Ladyshenski weiß nicht nur aus dieser Zeit, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Identität in einer Gesellschaft gefährlich wird – und wie stark der Wunsch sein kann, sich frei auszuleben. „Wir wurden oft geschlagen, haben aber von unserem Vater gelernt zurückzuschlagen – und das meine ich nicht nur metaphorisch“, sagt sie. Eine Demokratie, so die Maßgabe, müsse wehrhaft sein.
 

 

1992 kehren die Eltern mit den erwachsenen Zwillingsschwestern dieser judenfeindlichen Welt den Rücken – und zogen in den Westen. Deutschland, ausgerechnet Deutschland, sei für die Familie ein Ort gewesen, an dem man als Juden ohne Angst vor Verfolgung friedlich leben kann, erzählt Ladyshenski. Als sie in Schleswig-Holstein ankommen, gehören sie hier zu den ersten jüdischen Zuwanderern nach dem Holocaust. „Es gab nördlich von Hamburg keine jüdischen Gemeinden, keine jüdische Infrastruktur, kein jüdisches Leben“, berichtet Ladyshenski.
 

Viktoria Ladyshenski half Migranten beim Ankommen in Schleswig-Holstein
Die diplomierte Wirtschaftsingenieurin lernte schnell die deutsche Sprache – und begann, jüdischen Migranten freiwillig zu helfen. Ladyshenski übersetzte, unterstützte bei Formularen, vermittelte Kontakte. Ihre private Nummer hinterließ sie in der Neumünsteraner Flüchtlingsunterkunft. Wer ihre Hilfe brauchte, erreichte sie auch nachts. „Dadurch lernte ich fast alle jüdischen Migranten kennen – mit vielen freundete ich mich an“, sagt Ladyshensky.


Als die Jüdische Gemeinde in Hamburg eine Sozialarbeiterin in Kiel sucht, bewirbt sie sich. Im Januar 1997 tritt sie die Stelle an – und macht ihre Leidenschaft zum Beruf: „Ich hatte das Glück und gleichzeitig eine sehr wichtige Aufgabe – buchstäblich seit meinen ersten Tagen in Deutschland an der Wiederentstehung des jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein nach dem Krieg mitzuwirken.“ Sieben Jahre später gehört sie zu den Gründungsmitgliedern der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region. Aktuell zählt die Gemeinde rund 400 Mitglieder, in Hochzeiten waren es mehr als 500.


Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region seit 26 Jahren

Ladyshenski ist seit Beginn an Geschäftsführerin der Gemeinde. Eine ihrer Aufgabe: Die jüdische Gemeinde zu öffnen, in Kontakt zu treten mit den Menschen, die nicht selbstverständlich in eine Synagoge gehen. Und so empfängt sie Schülerinnen und Schüler, organisiert Veranstaltungen. Es gibt einen Chor in der Gemeinde, bei dem ein Sinti-Roma mitsingt, dazu noch Sozialberatung, Sportkurse und Deutschunterricht. „Das jüdische Leben in seiner ganzen Vielfalt findet in unserer Gemeinde täglich statt. Wir sind in unserer Größenordnung eine der besten Gemeinden bundesweit“, sagt Ladyshenski.
 

Auch der Austausch mit anderen Religionen ist ihr wichtig. Sie ist die jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein. Und auch mit den Muslimen im Kieler Stadtteil Gaarden, wo die Gemeinde beheimatet ist, besteht ein reger Austausch. Umso enttäuschter ist Viktoria Ladyshenski, dass sich neben der Türkischen Gemeinde nur ein einziger Moscheeverein bei ihr nach dem Terrorangriff der Hamas und den antisemitischen Vorfällen in Deutschland gemeldet habe: „Es muss jetzt einiges infrage gestellt werden.“ Die Zäsur durch diesen Angriff habe gezeigt, wer wo stehe, so Ladyshenski: „Wir Juden haben Antennen dafür, wer es ernst meint und wer nicht.“